Lehrer ist, wer Kreide halten kann. Interview mit Stefan Störmer im Wecker

Sonntag, 8. März 2009

 

Der Kreisvorsitzende der GEW Leer, Stefan Störmer, äußert sich im Interview mit der Sonntagszeitung „Der Wecker“ kritisch zu den geplanten Maßnahmen der Landesregierung im Bildungssektor.


Wecker: Herr Störmer, plötzlich - so scheint es - fehlen in Niedersachsen rund 1500 Lehrer. Wie konnte das geschehen?


Störmer: Noch unter der SPD-Regierung wurden Arbeitszeitkonten für Lehrer eingeführt. Den Lehrern wurden über einen Zeitraum von zehn Jahren zwei Wochenstunden zusätzlich aufgebürdet, die sie nach Ablauf dieser Zeit erstattet bekommen sollten. Diese Frist läuft zum Sommer des Jahres ab. Gleichzeitig beginnen die großen Pensionierungswellen. Dass die in die Kritik geratene Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann das ignoriert hat, ist sicherlich ihr Fehler gewesen. Dass die jeweiligen Landesregierungen nicht beizeiten mehr Lehrer eingestellt haben, ist das Verschulden mehrerer Minister. Nun kommt der Bedarf schlagartig. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es aber viel zu wenig Lehrer.


Wecker: Wird es eine vernünftige Unterrichtsversorgung geben?


Störmer: Das ist unwahrscheinlich. Die im Koalitionspapier vorgeschlagenen 250 zusätzlichen Lehrerstellen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn es nach dem Willen der Landesregierung geht, ist bald Lehrer, wer die Kreide halten kann. So sollen Referendare stärker eingebunden werden. Si sollen ab dem ersten Tag ihrer Ausbildung bis zu zwölf Stunden eigenverantwortlich unterrichten dürfen. Sie lernen aber erst im Referendariat, wie man unterrichtet. Quereinsteiger sollen herangezogen werden. Insbesondere in Mangelfächern ist es heute schon gängige Praxis - auch im Kreis Leer - , Ingenieure unterrichten zu lassen. Auch wenn sie das Fachwissen besitzen, so sind sie für dessen Vermittlung und weitere pädagogische Aufgaben nicht ausgebildet. Lehrer über 65 Jahre sollen weiter unterrichten dürfen. Die meisten sind aber froh, wenn sie in den Ruhestand gehen können. Die große Lücke in der Unterrichtsversorgung wird damit nicht zu schließen sein.


Wecker: Bei der Bewilligung von Teilzeit soll es Einschränkungen geben?


Störmer: All jene, die keine schulpflichtigen Kinder oder pflegebedürftigen Angehörigen haben, werden es schwer haben, eine Teilzeitbeschäftigung bewilligt zu bekommen. Das betrifft oft Lehrer, die schon lange im Schuldienst und entsprechend ausgepowert sind.


Wecker: Und wenn die Reformpläne nicht genug greifen?


Störmer: Ich hoffe nicht, dass die Klassen größer werden. Im Sekundarbereich I haben wir jetzt schon Klassen, die erst bei 34 Schülern geteilt werden können. Ich glaube, dass es um eine Verlängerung der Arbeitszeit von Lehrern gehen wird, auch wenn Ministerpräsident Christian Wulff das bestreitet. Das wäre wegen der steigenden Arbeitsbelastung untragbar.


Wecker: Was spricht gegen das Turboabitur auch an Gesamtschulen?


Störmer: Wenn das Abitur auch an Gesamtschulen schon nach zwölf Jahren absolviert werden soll, muss bereits in der neunten Klasse eine Leistungsdifferenzierung nach Schulformen vorgenommen werden. Eine gemeinsame Beschulung - also das Konzept der Integrierten Gesamtschulen - wird ad absurdum geführt. Das wäre so, als würde man in einem vegetarischen Restaurant als Hauptgericht Fleisch servieren.


Interview: Doris Zuidema


Der Wecker vom 1. März 2009

 
 
 

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