Unsere Kollegin Iris Fuhr (Bild), Mitglied im geschäftsführenden Kreisvorstand, informierte in einer Fortbildungsveranstaltung in der Jugendherberge Leer etwa 20 Kolleginnen und Kollegen über Ursachen, Erscheinungsformen und Hilfen bei Dyskalkulie. Im folgenden einige Anmerkungen zu diesem Themenkomplex.
Anmerkungen zum Dyskalkuliebegriff
(Hasso Rosenthal / Iris Fuhr)
- Begriff
Der Begriff der Dyskalkulie leitet sich von der griechischen Vorsilbe „Dys“ („miss“) und dem lateinischen „calcus“ (Rechnung) ab. Er benennt eine Störung beim Rechnen (Rechenschwäche).
- Begriffliche Verinnerlichungsprobleme
Ursachen sind begriffliche Verinnerlichungsprobleme des rechenschwachen Schülers (Fehlen einer verinnerlichten „Mathegrammatik“).
- Grundlagenschwäche
Das bedeutet nicht, dass die rechnerische Schwäche logisch-mathematische Denkprozesse verhindert. Ein Schüler mit Rechenschwäche kann durchaus mathematische Fähigkeiten besitzen. Es ist kein Zahlenanalphabetismus, sondern bedingt ein rechnerisches Unvermögen und eine Schwäche, Sachverhalte in Zahlen darzustellen bzw. zahlenmäßige Sachverhalte zu verstehen (Grundlagen).
- Quantitative Fehleranalyse
Eine Hilfe kann nur über die quantitative Fehleranalyse und die Beurteilung des Umgangs mit Rechenverfahren erfolgen. Das bietet zum Beispiel der „Quadriga-Test“ der Humboldt-Universität Berlin oder der „Jenaer Rechentest“. Extensives Üben (Pauken) kann keine Verbesserung der Rechenschwäche bringen. Benötigt wird eine individuelle Hilfe mit „integrativer Lernintervention“. Da bietet zum Beispiel auch das Computerspiel „Meister Cody“ der Universität Münster. Genannt wird auch als diagnostisches Mittel die Präventionsanalyse nach Piaget. Piaget untersuchte die schematische Rechenfähigkeit bei Unverständnis für den Bedeutungsinhalt der arithmetischen Techniken.
- Psychomotorisches Üben
Empfohlen wird von Dyskalkulietrainern das psychomotorische Üben. (Anhang) Wichtig ist dabei, dass Versagensängste vermieden werden. (Verstärkung, Identitätsbildung und Persönlichkeitsstärkung sind wichtig). Kinder sind schnell unter Druck, wenn sich mit ihrer partiellen Schwäche im Vergleich mit anderen Kindern sehen. Nicht nur deshalb ist die Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule wichtig. Sonst besteht die Gefahr, dass das betroffene Kind diese Schwäche auf seine Gesamtlernsituation überträgt („Ich bin doch sowieso doof!“). Damit würde auch die Analyse der Arithmastenie schwieriger. (Atmosphäre der Annahme). Die „begrifflichen Verständigungsprobleme“ können nur durch eine persönliche, gezielte Therapie geklärt werden. Sie sagen nichts über die Intelligenz der Betroffenen aus.
- Genetische und/oder erlernte Ursachen
Dyskalkulie kann ererbt (genetisch) verursacht werden, sie kann aber auch entwicklungs-bedingt (Elternhaus und Schule – falsche Erziehung und falsche Unterrichtsmethoden) verursacht worden sein. Man hat noch keine Hirnareale gefunden, in denen eine Rechenfertigkeit verortet werden kann. Man muss auch mit dem genetischen Defektargument vorsichtig sein. Es kann zu sehr falschen Schlussfolgerungen führen.
- Äußerungsformen
Äußerungsformen der Dyskalkulie sind auch
- Unaufmerksamkeit beim Umgang mit Symbolen (allegorisches Verständnis)
- wenig unterscheidende Sinneswahrnehmung
- Fehler beim Rechnen
Erscheinungen sind:
Nominalismus (Zahlen ohne Bedeutung, ohne Konkretion)
Mechanismus (Regelanwendung gedankenlos)
Konkretismus (Orientierung an Hilfsmitteln ohne sich davon zu lösen-Fingerrechnen)
Erscheinungsformen
Erscheinungsformen sind beispielsweise auch
ein mangelhaftes Mächtigkeitsverständnis,
ein unvollkommener Zahlbegriff,
Schwächen bei den Grundrechenarten und
Uneinsichtigkeit in die Struktur des Dezimalsystems.
Aufmerksam werden sollte man, wenn
es beim Schüler, bei der Schülerin wenig Verständnis für Mengen und Zahlen gibt
das Einschätzen von zu erwartenden Lösungen schwer fällt
die Null bedeutungslos bleibt
die Begriffspaare mehr/weniger und größer/kleiner nicht gebildet werden können
die Abfolge von Wochentagen vertauscht werden
die Zahlen nicht flüssig vorgetragen werden können
Nachbarzahlen unbekannt sind
ähnliche Zahlen verwechselt werden
wenn sich ein Kind nicht vom Fingerrechnen lösen kann
die Reihenfolge der Rechenzeichen nicht eingehalten wird
es Probleme der Positionierung von oben/unten bzw. rechts/links gibt
es Schwierigkeiten bei der Einsortierung von Zwischenzahlen (2zwischen 1 und 3)
es viele Minusfehler gibt
es Verdrehungsfehler gibt (17-71)
- Fehlende Anreize
Wenn Kinder zu wenig Anreize bekommen, ein Verständnis zu Zahlen aufzubauen (unklarer Mengenbegriff, fehlende Verallgemeinerung, fehlende Sinnfindung beim arithmetischen Regelsystem) entfaltet sich die Störung weiter.
- Forderung an die Politik
Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie fordert von der Legislative und von der Kultusministerkonferenz klare Hilferegeln wie bei der Legasthenie auch bei der Dyskalklie. Nach einem noch gültigen Beschluss der KMK von 2007 werden Rechenstörungen nicht mit denen der Lese-Rechtschreibschwäche gleichgesetzt. Dennoch verweist der nds. Fördererlass darauf, dass Schüler mit manifesten Rechenstörungen in der Grundschule besondere Hilfsmittel bekommen sollen. Aber der Nachteilsausgleich gilt nur für Grund- und Inklusionsschüler. Dyskalkulie ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als schulische Entwicklungsstörung anerkannt. Sie wird in ihrer internationalen Klassifikation als Gesundheitsproblem beschrieben und definiert (C/CD 10; F81.2).
- Begleitung der Kinder
Die Aufgabe des Mathematikunterrichts in der ersten Klasse besteht darin, Kinder von ihren zählenden zu den nichtzählenden Strategien zu begleiten. Wenn das nicht geschieht, komme die betroffenen Schüler über den Zahlenraum größer als 20 nicht mehr mit (Verlassen des Bereichs, mit dem noch mit den Fingern gerechnet werden kann). Kinder brauchen besondere Hilfen beim Erlernen der Grundlagefähigkeiten. Dabei sollte man sich nicht lange damit aufhalten, eine Ursachendiskussion zu führen. Die ist zwar wichtig, aber die konkrete, unmittelbare Hilfe zur unterscheidenden (diffenten) Sinneswahrnehmung (Optik, Akustik, Raumwahrnehmung) ist wichtig.(Aufmerksamstraining). Sinnvoll kann eine qualifizierende Diagnostik ab der 3. Klasse durchgeführt werden. Wo nötig, können qualifizierte Dyskalkulietrainer helfen.
- Wie kann ich helfen?
- Das nds. MK hat einen Fördererlass herausgegeben (andere Bundesländer benennen
Dyskalkulie nicht). Auf den kann man sich bei der Einforderung von Hilfsmitteln
sächlicher und personeller Art berufen.
- Es gibt Lernstrategien, um „Handicaps“ zu überlisten.
- Die individuelle, praktische Unterstützung bieten Fachkräfte an.
- Es gibt zur Förderung technische Hilfsmittel. Umfassend informiert darüber die zum Selbstkostenpreis vertriebene CD des österr. Legasthenie/Dyskalkulieverbandes(10€)
- pädagogische und psychologische Gutachten helfen, die Förderung gezielt begründet umzusetzen.
- Beim Jugendamt kann man die Finanzierung der Eingliederungshilfe nach §35a StgB8 beantragen. Das geht nur mit einem psychologischen Gutachten.
- Das mathematische Institut zur Behandlung der Rechenschwäche/Dyskalkulie (München) bietet einen qualifizierten Dyskalkulietest an, der Auskunft gibt, was das Kind an welcher Stelle der Grundschul-Mathematik „wie verstanden hat und deshalb so seltsam rechnet“. Das Fehlerprofil I gibt genau Auskunft über Unverständnis und Missverständnisse, über falsche Vorstellungen und lückenhafts Verständnis. So etwas ist die unverzichtbare Grundlage für eine erfolgreiche Therapie. Auch wird damit der Frust unsinnig wirkungslosen Übens vermieden.
- Zielbestimmung
Absicht und Ziel aller Maßnahmen ist es, dass die betreuten Kinder im Mathematikunterricht der Folgejahre ihre Schwierigkeiten überwinden. Eine erfolgreiche Schullaufbahn bezogen auf das Fach Mathematik ist dann wieder offen.
Zusammenfassung auf der Grundlage des Vortrags von Iris Fuhr und eigene Notizen
Anhang:
Psychomotorik Übungen
„Die Lebensbedingungen unserer heutigen Kinder haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Es gibt immer weniger Plätze für Kinder und die Bewegungsangebote werden knapp. Typische „Straßenkinder“, wie viele Erwachsene es noch aus ihrer Kindheit kennen, gibt es kaum noch. Kinder sind heute in ihrer Bewegung oft eingeschränkt, sie werden mit dem Bus oder dem Auto zum Kindergarten/zur Schule gefahren, Spielplätze sind in manchen Gegenden rar. Die Psychomotorik stellt eine ganzheitliche Entwicklungsförderung von Motorik und Wahrnehmung dar. „Psychomotorik beschreibt diesen Zusammenhang als enge und wechselseitige Verbindung von psychischen Prozessen und Bewegung“ (Diana Sanft) Der ständige Umgang mit rechnergestützten Kommunikationsmitteln (Smartphone, Tablet usw.) lässt die psychomotorische Grundausstattung eines Heranwachsenden immer mehr verkümmern.
„Die Psychomotorik spielt als Teil der frühkindlichen Entwicklung auch bei der Entstehung von Dyskalkulie eine Rolle. Wenn die Matheschwäche bereits vorhanden ist, können psychomotorische Übungen aber trotzdem helfen. Unter Psychomotorik verstehen wir das Wechselspiel und die enge Verbundenheit zwischen der geistig-psychischen und der körperlich-motorischen Entwicklung. Ist dieses Wechselspiel gestört, kann es zu vielerlei Schwierigkeiten kommen, deshalb sollte deren Ausbildung während der frühkindlichen Entwicklung im Auge behalten werden. Psychomotorische Übungen werden häufig schon im Kindergarten eingesetzt, um eventuelle Entwicklungsstörungen frühzeitig zu erkennen. Durch diese besondere Art der Förderung werden auch die Wahrnehmung und Ausbildung des Körperschemas, der Raumorientierung sowie die akustische, visuelle, taktil-kinästhetische Wahrnehmung geschult. Dieser Fertigkeiten bestimmen mit, wie gut ein Kind mathematische Aufgaben bewältigen kann. Psychomotorische Übungen können jedoch lediglich unterstützen oder als präventive Maßnahme genutzt werden – bei einer ausgeprägten Matheschwäche reichen diese allein leider nicht aus.
In diesem Fall muss unbedingt zusätzlich die Hilfe eines geschulten Dyskalkulie Therapeuten in Anspruch genommen werden. Jedoch kann eine drohende Rechenschwäche auf diese Art, sofern dem betreuenden Pädagogen diese bekannt ist, erkannt werden. Je früher diese Lernstörung erkannt wird, umso besser lässt sie sich behandeln. Zwar ist es für eine Therapie nie zu spät, bessere Erfolge werden aber in jungen Jahren erzielt. Wer sich ausführlicher über dieses Thema informieren will, dem sei „Die Wirkung psychomotorischer Übungen auf Dyskalkulie unter Berücksichtigung von Wahrnehmungsstörungen“ von Dr. Svenja Lommer ans Herz gelegt.“ (http://rechenguru.de/)
Beispiele (Quelle: Wikipedia, eigene Spiele)
- Seil zu Form
Eine Person (Erwachsener oder Kind) legt mit einem Seil auf dem Boden eine bestimmte Form. Die anderen Kinder betrachten diese Form und versuchen sie mit ihren eigenen Seilen nachzulegen. Danach Wiederholung mit dem Legen einer neuen Form.
Diese Psychomotorik Übung fördert: Feinmotorik, Wahrnehmung und Konzentration.
- Schwungtuch, Bälle
Die Kinder halten ein Schwungtuch und werfen Bälle (am besten größere Schaumstoffbälle) darauf. Nun bewegen sie das Schwungtuch und achten darauf, dass die Bälle nicht seitlich herunterfallen.
Diese Psychomotorik Übung fördert: Konzentration, Wahrnehmung und Reaktion.
- Hüpfen in Gymnastikreifen
Es werden im Bewegungsraum Gymnastikreifen hintereinander ausgelegt, sodass sich eine Straße ergibt. Die Kinder fangen nun an, nacheinander durch die Reifen zu hüpfen, erst beidbeinig, dann einbeinig (je nach Alter der Kinder).
Diese Psychomotorik Übung fördert: Grobmotorik, Wahrnehmung, Konzentration und Ausdauer.
- Malen nach Musik
Mit dem CD-Player wird eine sanfte, ruhige, melodiöse Musik gespielt (Endlosschleife) Das Kind hat Farbstifte und ein Blatt auf dem Tisch und malt zuerst Formen nach der Musik (Kann man vormachen) und füllt dann die Felder ebenfalls nach der Musik (persönliche Gestimmtheit) ganzflächig mit wechselnden Farben aus.
Diese Psychomotorikübung fördert Konzentration, Schwünge, Empathie, kontemplatives Verhalten
- Malen nach Zahlen
- Bewegungsaufgaben des MOT 4-6
(vgl. „Lincoln-Oseretzky-Motor-Development-Scale“)
Sprung in einen Reifen (Sprungkrafteinsatz)
Balancieren vorwärts (Gleichgewichtsfähigkeit,Richtungskonstanz)
Punktieren (Bewegungsgeschwindigkeit)
Mit den Zehen Tuch aufgreifen (Fußgeschicklichkeit, Balancefähigkeit)
Seil seitlich überspringen (schnelle beidbeinige Sprungfähigkeit)
Stab auffangen (Reaktionsvermögen auf einen optischen Reiz)
Tennisbälle in Kartons legen (Orientierungsfähigkeit,Bewegungspräzision)
Balancieren rückwärts (Gleichgewichtsfähigkeit, Richtungskonstanz)
Zielwurf auf eine Scheibe (Auge-Hand-Koordination, Bewegungssteuerung)
Streichhölzer einsammeln (feinmotorische Steuerung, Fingergeschicklichkeit)
Durch einen Reifen winden (Beweglichkeit des ganzen Körpers)
Einbeiniger Sprung in Reifen (Gleichgewichtsfähigkeit)
Tennisring auffangen (Auge-Hand-Koordination)
Hampelmannsprung (Koordination von Arm- und Beinbewegungen, Rhythmus)
Sprung über Seil (Sprungkraft)
Rollen um die Längsachse (Beibehalten der Körperspanne bei Lageveränderung)
Aufstehen und Setzen mit Halten eines Balles (Regulation des Gleichgewichts)
Drehsprung in Reifen (Orientierungsvermögen, Gleichgewichtsregulierung)
- Bierdeckelspiele
Bierdeckel werfen: Jedes Kind erhält einige Bierdeckel in die Hand und versucht jeden Bierdeckel in einen Reifen oder auf eine Matte zu werfen. Die Entfernungen zu den Reifen oder der Matte sollte individuell, orientiert am Alter der Kinder, gewählt werden.
- Flussüberquerung:
Die Kinder stehen mit Bierdeckeln in der Hand auf der einen Seite des Raumes. Nun sollen sie versuchen auf die andere Seite des Raumes zu gelangen, indem sie nur auf die Bierdeckel treten. Jedes Kind legt immer einen Bierdeckel auf den Boden und tritt mit einem Fuß darauf.
Dann legt es den nächsten Bierdeckel in gewissem Abstand vor sich auf den Boden und tritt mit dem anderen Fuß darauf. Dies wiederholt das Kind so oft bis es auf der anderen Seite des Raumes ankommt.
- Bierdeckel balancieren:
Die Kinder können die Bierdeckel auf verschiedenen Körperteilen balancieren. Spielidee Packesel: Ein Kind bekommt so viele Bierdeckel wie möglich auf den Rücken gelegt und muss damit dann eine bestimmte Strecke zurücklegen, bis die Bierdeckel “abgeladen” werden.