Wer in Vollzeit arbeitet und durchgängig erwerbstätig ist, kann Karriere machen. Wer aber in Teilzeit arbeitet oder längere Zeit aussetzt, gerät in eine berufliche Sackgasse. Frauen werden aufgrund von Beurlaubung oder Teilzeit – oft aus familiären Gründen – später befördert als Männer und können diesen Rückstand kaum mehr aufholen. Dieses Muster gilt auch für das Arbeitsfeld Bildung und Erziehung, obwohl sich die Rahmenbedingungen hier unterscheiden. Gerade in Schulen ist Teilzeit die individuelle Lösung des Vereinbarkeitsproblems – zu Lasten der Frauen. In den Kitas ist Vollzeit oder Teilzeit selten eine freiwillige Entscheidung – weil oft nur Teilzeitstellen angeboten werden. Die Arbeitsbedingungen von Honorarkräften ermöglichen eine eigenständige Existenzsicherung nur unter hohem Einsatz. An Hochschulen ist Teilzeit in der Qualifizierungsphase die Norm (s. S. 26 und 34 f.).
Die Verteilung der Arbeitszeiten in Beruf und Familie ist zum Nachteil der Frauen: Ihre stärkere Beteiligung am Erwerbsleben geht mit einer Zunahme von Teilzeitarbeit einher. Zwischen der ungleichen Verteilung der Zeit für Job und Kinder oder Pflege und dem geringeren Einkommen der Frauen besteht ein enger Zusammenhang.
Klar ist: Bei den Arbeitszeiten klaffen Wunsch und Wirklichkeit bei Frauen wie Männern weit auseinander. Viele Väter, die in Vollzeit tätig sind, möchten ihre Arbeitszeit reduzieren, viele Frauen in Teilzeit wollen gerne aufstocken. Arbeitgeber gehen darauf noch zu wenig ein. Das zeigt, dass bei ihnen das Rollenbild von „Haupternährer“ und „Zuverdienerin“ weiter wirksam ist. Auch das Bild der „Rabenmütter“ ist zumindest im Westen nicht ganz überwunden und trägt ebenfalls dazu bei, dass Frauen ihre Arbeitszeit in der Familienphase verringern oder zeitweise ganz aus dem Job ausstiegen – zu Lasten ihrer Karriere, ihrer eigenständigen Existenzsicherung und ihrer Renten.
Und dennoch mangelt es Frauen oft an Zeitsouveränität, weil sie Haushalt, Familie, Pflege und Beruf unter einen Hut bringen müssen. Zuständigkeiten für Familie und Haushalt sind ungleich verteilt und verstärken mit der geschlechtlichen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt tradierte Rollenmuster. Deshalb: Frauen und Männer müssen untereinander die Arbeitszeiten in Beruf und Familie neu aufteilen. Die Erwerbstätigkeit der Frauen ebenso wie die Zweiverdiener-Haushalte nehmen zu und können andere partnerschaftliche Lebensmodelle eröffnen. Die gesellschaftliche und materielle Aufwertung der Berufsfelder etwa in Erziehung, Gesundheit und Pflege muss hinzukommen sowie ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Hier ist Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gefragt.
Mittelfristig geht es auch um eine neue gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik. Wenn man Arbeitszeiten über unterschiedliche Lebensphasen hinweg und die gesamte Erwerbsbiographie in den Blick nimmt, können Entwürfe für zeitgemäße und zukunftsweisende Arbeitszeitmodelle entstehen. Debatten um künftige Arbeitszeitpolitik sind geschlechterbewusst zu gestalten. Es ist gut, dass Frauen- und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD, s. Interview S. 36) die Debatte über die 32-Stunden-Woche für Eltern und über Transferleistungen angestoßen hat. Es ist aber auch unser Auftrag als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, das 32-Stunden-Vollzeit-Modell attraktiv zu machen. Denn Arbeit und Leben sind mehr als Erwerbsarbeit. GEW-Frauen arbeiten an einem erweiterten Arbeitszeitbegriff, der Ehrenamt, Familie, Fürsorge für Ältere und Nachbarn sowie Zeit für sich selbst einbezieht. Die kurze Vollzeit könnte zum Leitbild einer neuen Arbeitszeitpolitik werden.
Frauke Gützkow,
Leiterin des GEW-Arbeitsbereichs Frauenpolitik